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"Kämpfen baut Aggressionen ab wie kein anderes Spiel."

 

 

 

Professor Felix von Cube, Uni Heidelberg

 

Bericht aus der Saarbrücker Zeitung am 28.10.2009
Vom Mitarbeiter Michael Stephan

Stärker und schlauer durch Ringen und Raufen
Warum Wissenschaftler Kämpfen im Sportunterricht befürworten


Kämpfen im Sportunterricht. Dieses Thema löst zunächst einmal zwiespältige Gefühle aus. Weniger bei den Schülern selbst als vielmehr bei ihren Eltern und Lehrern. Denn Kampfsportarten stehen bei einigen Erwachsenen im Verdacht, Aggressionen zu fördern und die Gewaltbereitschaft zu steigern. Auch ein gegenüber anderen Sportarten vermeintlich größeres Verletzungsrisiko wird von Kritikern gerne in die Diskussion geworfen. Dabei ist offenbar das Gegenteil der Fall.

Ringen und Raufen in der Schule und sogar schon im Kindergarten bauen Aggressionen ab und verbessern die soziale Einstellung der Kinder. "Leider besteht in Deutschland ein weitverbreitetes Vorurteil gegen Kampfspiele. Tatsächlich dienen sie jedoch, wie kein anderes Spiel, dem Aggressionsabbau, der Selbstdisziplin und der Selbstbescheidung", erklärt Felix von Cube, Professor für Erziehungswissenschaften an der Universität Heidelberg. Andere Autoren meinen, dass isolierte Kinder durch Kampfspiele leichter in die Gemeinschaft zurückfinden und nicht Gefahr laufen, ihren Frust brutal auszuleben. Zudem lernten Kinder häufig besser, wenn sie sich im Schulsport austoben können.

Eine wissenschaftliche Untersuchung der Orthopäden und Sportmediziner Dr. Horst Cotta und Dr. Klaus Steinbrück zeigt, dass die Verletzungshäufigkeit bei Sportarten wie Fußball, Handball, Skifahren, Turnen oder Basketball höher liegt als beim Judo oder Ringen.

"Kinder ringen sehr gerne. Sie suchen den Körperkontakt und wollen den Vergleich miteinander", stellt Paul Schneider fest, ehemaliger Trainer der Köllerbacher Bundesliga-Ringer und Rektor der Kyllberg-Grundschule in Köllerbach. "Leider wird heutzutage das Toben und Raufen der Kinder auf dem Schulhof oder Spielplatz immer häufiger sofort unterbunden", bedauert Schneider. In seiner Schule bietet er seit Jahren Arbeitsgemeinschaften im Ringen an, und auch im normalen Sportunterricht kommt das Kämpfen nicht zu kurz. "Die Kinder verbessern ihre Körperbeherrschung und werden selbstbewusster", sagt Paul Schneider.

Dr. Harald Lange, Professor für Sportwissenschaft mit dem Schwerpunkt Sportpädagogik an der Universität Würzburg, beschäftigt sich seit Jahren intensiv mit dem Thema Ringen und Raufen als Schulsport. "Im Sportunterricht sollten Kinder die Möglichkeit haben, sich Herausforderungen und Grenzsituationen zu stellen", betont er. Das Kämpfen biete sich hierfür geradezu an. Langes Augenmerk liegt zunächst auf einfachen Ring- und Raufspielen, weil Sportlehrer, die selbst keine Kampfsportler seien, die klassischen Kampfsporttechniken aus dem Ringen, Judo oder Karate häufig nicht richtig vermitteln könnten.

Einfache Zieh- und Schiebekämpfe reichten jedoch aus, um das Ziel zu erreichen, sagt Lange. Beispielsweise stehen zwei Kinder auf einer Turnmatte, von der sie sich gegenseitig herunterdrücken sollen. Wer zuerst den Fuß auf den Hallenboden setzt, hat verloren. Das funktioniert auch aus dem Kniestand heraus oder wenn sich die Kinder Rücken an Rücken setzen.

Vorher festgelegte Regeln einzuhalten, ist das oberste Gebot bei allen Formen des Raufens im Sportunterricht. Beispielsweise darf ein Kind seinem Partner niemals wehtun, und ein Kampf wird sofort beendet, wenn der Partner "Stopp" ruft. "Die Kämpfe unterstützen auch die Identitätsfindung und Körpererfahrung", sagt Harald Lange. "Die Kinder stellen sich im Kampf der Herausforderung, mit ihrem Gleichgewicht und dem des Gegners zu spielen." Dabei erleben sie die eigene körperliche Kraft und Geschicklichkeit sowie die des Gegners im wahrsten Sinne des Wortes hautnah. Die Schüler würden dadurch ihren Körper besser kennenlernen und könnten so ihre Stärken entwickeln, erläutert der Sportwissenschaftler. Sie lernten aber auch, ihre Schwächen anzunehmen.

Neben Geschicklichkeit verlangt Kämpfen Kondition. "Es ist ein spannender psychischer Aspekt, beim anderen herauszufinden, was er kann und was er macht", sagt Lange. All das sei der Grund dafür, warum Kinder sich viel lieber im Kampf austobten als in monotonen Trainingseinheiten. Nicht zuletzt sind Ringen und Raufen gute Möglichkeiten, die Langeweile aus den Schulturnhallen zu vertreiben.

Da man immer einen Partner brauche, stelle das Kämpfen auch hohe Anforderungen an die sozialen, zwischenmenschlichen Fähigkeiten, sagt der Wissenschaftler. Die unterschiedlichen Kampfspiele ermöglichten es, aktiv und offen aufeinander zuzugehen. "Das kann Kontaktschwierigkeiten und Distanzprobleme verringern." Ring- und Raufspiele könnten den Kindern sogar ein Gefühl von Nähe und Körperkontakt vermitteln.

Körperkontakt zuzulassen und auszuhalten, ist anscheinend für viele Kinder und Jugendliche ein Problem. "Kinder wollen sich nicht anfassen", bestätigt Harald Lange. Das fange in der zweiten Klasse an, und spätestens ab der sechsten Klasse wollten die Mädchen keinen Körperkontakt mit den Jungen und vor allem die Jungs keinen mit den Mädchen. "Beim Ringen und Raufen im Sportunterricht geht es deshalb zunächst um den Körperkontakt und weniger um den Kampf", betont Volker Gößling. Der Sportlehrer und erfahrene Judoka hat die Bezirksregierung Arnsberg in Nordrhein-Westfalen bei der Ausarbeitung von Unterrichtskonzepten beraten und bis heute rund 150 Lehrerfortbildungen durchgeführt.

In Nordrhein-Westfalen müssen die Sportlehrer bereits seit zehn Jahren im Sportunterricht aller Schulformen "Ringen und Kämpfen" als Pflichtfach unterrichten. Gößling hat gute Erfahrungen damit gemacht, mit den Schülerinnen und Schülern der fünften und sechsten Klassen mit dem Bodenkampf loszulegen. "Die Jüngeren haben viel weniger Hemmungen zu raufen", sagt der Sportlehrer. "Mit älteren Schülern sollte dagegen zunächst im Stand gearbeitet werden. Da ist der Körperkontakt nicht so groß." Einer Unterrichtseinheit Kämpfen müssten unbedingt Vertrauensspiele vorangestellt werden, betont der Experte.

Letztendlich kämen Ringen und Kämpfen bei den Schülern gut an. Und "viel besser als erhofft" sei die Resonanz unter den Kollegen - auch bei den anfänglichen Skeptikern. "Mindestens 90 Prozent aller Rückmeldungen fallen positiv aus", schätzt Gößling. Die Sportlehrer stellen unter anderem fest, dass beim bewussten Zweikampf die Verletzungsgefahr geringer ist als bei Ballsportarten. Vor allem Raufbolde würden sich bei Kampfspielen deutlich fairer verhalten als bei Ballspielen.

"Dürfen Schüler sich ihre Kampfpartner frei aussuchen, werden die Schwächeren keineswegs von den Stärkeren unterdrückt", berichtet Volker Gößling. "Im Gegenteil, die Starken suchen sich bewusst andere Starke aus, um sich mit ihnen zu messen". Und Mädchen hätten nach kurzer Zeit kein Problem mehr damit, mit Jungen zu rangeln und umgekehrt. "Ich habe festgestellt, dass das Kämpfen im Sportunterricht das Selbstvertrauen von Mädchen und schwächeren Jungen stärkt", sagt Gößling. Und starke Jungen würden lernen, Konflikte mit fairen Mitteln zu regeln.

Mädchen und Jungen unterscheiden sich nicht in ihrer Lust zu kämpfen. "Mädchen machen das genauso gerne wie Jungen", weiß Harald Lange. Und sie kämpfen genauso - wenn sie es denn dürfen. "Manche Lehrer trauen es den Mädchen nicht zu und lassen sie deshalb nicht auf die gleiche Weise kämpfen wie Jungs", bedauert der Sportwissenschaftler. Rein körperlich gesehen seien Mädchen von der vierten, fünften bis zur sechsten Klasse sogar im Vorteil, weil sie in diesem Alter weiterentwickelt und somit stärker seien als gleichaltrige Jungen. Dieser biologische Vorteil werde den Mädchen durch "falsche erzieherische Ansichten" manchmal genommen, sagt Lange.

Kinder, die regelmäßig Kampfsport betreiben, sind in der Regel fitter als ihre Altersgenossen. Das bestätigen Studien der Aktion "Kid-Check", bei der Ärzte und Wissenschaftler der Universität des Saarlandes seit zehn Jahren Kinder und Jugendliche auf Haltungsschwächen untersuchen.

Buchtipp: "Kämpfen, Ringen und Raufen im Sportunterricht" von Harald Lange und Silke Sinning. 176 Seiten mit einer didaktischen Einführung sowie 150 gut beschriebenen und bebilderten Spielen und Kämpfen. Limpert-Verlag, Preis: 14,95 Euro.